Die Medizinlehre in Bayern nachhaltig verbessern – um dieses Anliegen kümmert sich das Kompetenznetz Medizinlehre in Bayern (KMB). Ob Leuchtturmprojekt oder alltägliche Probleme: Der kontinuierliche Austausch hilft dabei, die Lehre weiterzuentwickeln.
Das Medizinstudium in Bayern genießt ein hohes Ansehen. Warum sollte man überhaupt etwas an der Medizinlehre verbessern, könnte man provokativ fragen. Zum einen kann man immer noch besser werden, zum anderen ändern sich auch Anforderungen und Rahmenbedingen mit der Zeit, zum Beispiel durch Reformen der ärztlichen Approbationsordnung. Um all dem Rechnung zu tragen, haben die bayerischen Medizinfakultäten 2008 das Kompetenznetz Medizinlehre in Bayern gegründet.
Das Konzept dahinter: Jeder Standort hat besondere Stärken und kümmert sich innerhalb des Netzwerks um diese Themen. „Man muss das Rad nicht immer wieder neu erfinden. Das, was ein Standort entwickelt hat, kann dann ganz Bayern nutzen“, sagt Professor Pascal Berberat, Sprecher des KMB und 1. Studiendekan der Fakultät für Medizin an der TU München. Nach neunjähriger finanzieller Förderung durch das damalige Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst halten die Mitglieder es nun ehrenamtlich am Leben. Aus den Schwerpunkten der einzelnen Fakultäten sind zwischenzeitlich Arbeitsgruppen geworden, die sich regelmäßig austauschen.
Die AG Fakultätsentwicklung etwa beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Medizindidaktik. Denn das Vermitteln von Wissen und Kompetenzen in der Medizin ist anspruchsvoll – und nicht jeder Dozent ist ein Naturtalent. Das KMB hat deshalb ein Zertifikatssystem in Kooperation mit ProfiLehrePlus entwickelt, bei dem sich die Lehrenden in der Medizin didaktische Kompetenzen aneignen können. Wer sich habilitiert, muss verpflichtend die Grundstufe des dreistufigen Zertifikats erwerben. Aber auch die freiwillige Aufbaustufe wird zunehmend gebucht. „Eine der großen Erfolgsstorys des KMB“, so Berberat. „Da tut sich einiges. Und das macht die Lehre besser.“
„Wir können uns viel überlegen, aber die Lehre müssen die Ärztinnen und Ärzte machen – und die sind sehr beschäftigt.“
Prof. Pascal Berberat, Sprecher des KMB
Ein weiterer Meilenstein war die Etablierung einer Absolventenbefragung. Gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung hat das Netzwerk Fragebögen entwickelt, die speziell auf die Medizinlehre zugeschnitten sind. Ein Jahr nach dem Examen werden die Absolventen gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. „Soeben hat die dritte Befragungsrunde stattgefunden, die Rücklaufzahlen sind phänomenal“, so Berberat. Die Ergebnisse will das Kompetenznetz nutzen, um das Medizinstudium in Bayern zukunftsfähig aufzustellen. Aber schon in der Vergangenheit konnte man durch die Absolventenbefragung mit einigen Mythen rund um das Medizinstudium aufräumen. Zum Beispiel stimmt es gar nicht, dass Mediziner nach dem Studium besonders oft ins Ausland gehen.
Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Integration von E-Learning in die Medizinlehre. Das Medizinstudium enthält zwar viele praktische Elemente, aber auch Vorlesungen kommen vor. „Heute fragen wir uns alle, ob Vorlesungen noch zeitgemäß sind. Die Medizin fragt sich das schon länger als andere Fächer“, berichtet Berberat. Vieles, was bisher in Vorlesungen gelehrt wurde, lässt sich in E-Learning-Formaten abbilden. Doch auch das ist nicht trivial, wie Berberat erläutert: „Man kann nicht einfach nur ein PDF online stellen.“ Auch hier hilft das Kompetenznetz: Die Standorte tauschen sich darüber aus, welche Veranstaltungen sich für E-Learning eignen und wie man die Lerneinheiten gestaltet.
Eine weitere Besonderheit in der Medizinlehre ist die Wissenschaftlichkeit, die einen hohen Stellenwert hat. Ärztinnen und Ärzte müssen in Lage sein, wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten interpretieren und bewerten zu können, um evidenzbasiert handeln zu können. Ein Teil der Absolventen sollte sich zudem aktiv in die Forschung einbringen. „Wissenschaftliche Kompetenz kommt im Medizinstudium noch zu kurz, aber auch hier tut sich etwas“, so Berberat.
Lange Zeit wurde beklagt, dass das Medizinstudium zu theoretisch sei und Mediziner nicht ausreichend auf die Tätigkeit als Arzt vorbereitet würden. Das trifft heute nicht mehr zu, findet Berberat. Im Gegenteil: Das Medizinstudium hat einen sehr großen Praxisanteil. Unterricht mit Patientenbezug wird inzwischen großgeschrieben, praktische Fertigkeiten sowie Patientenkontakt werden in Simulationszentren geübt, mit Schauspielpatienten, Videoaufnahmen, selbstkritischer Reflexion und Nachbesprechung.
Verbesserungsbedarf gibt es dagegen bei der Interprofessionalität, also dem gemeinsamen Lernen und Üben in den Teams, die später auch im Alltag eng zusammenarbeiten. Diese Verzahnung bahnt man am besten bereits in Ausbildung und Studium an, so die Idee dahinter. Ein Beispiel dafür ist das Projekt A-STAR am Universitätsklinikum Regensburg, wo PJ-Studierende gemeinsam mit Pflegeauszubildenden Patienten versorgen. So sollen festgefahrene Rollenbilder überwunden, wertschätzende Kommunikation erlernt und berufsspezifische Rollenidentitäten entwickelt werden. Solche Projekte seien zwar innovativ, so Berberat, aber leider nur schwer in die Breite zu bringen. Denn zum einen sind sie extrem aufwändig zu betreuen, zum anderen gibt es angesichts der ganz verschiedenen Organisationsformen eines Medizinstudiums und einer Pflegeschule weiterhin große logistische Herausforderungen zu bewältigen.
Ein Kristallisationspunkt des Netzwerks ist der Bayerische Tag der Lehre, der seit 2014 im Rotationssystem stattfindet. Im letzten Jahr ging es um interprofessionelle Lehre, diesmal um professionelle Identitätsentwicklung: ein Thema, das Berberat besonders am Herzen liegt. „Ein guter Arzt ist nicht nur das, was er kann und weiß. Es geht auch um Werte und professionelles Selbstverständnis.“ Ärztinnen und Ärzte sind Teamplayer, Gelehrte, Kommunikatoren, Wissenschaftler und vieles mehr. Die Frage nach der eigenen Aufgabe, der Motivation und dem Selbstverständnis kommt im Medizinstudium aber viel zu kurz, findet Berberat.
Das liegt einerseits daran, dass andere Dinge im Studium bereits sehr viel Raum einnehmen. Andererseits herrscht aber auch häufig die Meinung vor, dass man Dinge wie Einstellung und Empathie nicht lehren kann. Manche bringen sie eben mit, andere nicht. Berberat hingegen glaubt, dass man sie sehr wohl fördern kann, wenn man ihnen Raum gibt. „Viele Medizinstudierende fremdeln mit diesen Fragen, auf die es keine richtigen oder falschen Antworten gibt. Es geht vielmehr darum, sich der Sache bewusst zu werden, andere Meinungen zu tolerieren, sich auszutauschen und für sich eine Entscheidung zu treffen: Was ist heute mein Standpunkt?“
Ganzheitliche Bildung, das bedeutet nach Pestalozzi lernen mit Kopf, Herz und Hand. Wenn der Kopf das Wissen und die Hand die praktischen Fertigkeiten eines Arztes sind, dann ist die professionelle Identitätsentwicklung das Herz. „Dieser Einstellung sollten wir wieder mehr Bedeutung geben.“
Prof. Dr. Pascal Berberat leitet das TUM Medical Education Center (TUM MEC) und ist aktueller Sprecher des Kompetenznetz Medizinlehre Bayern.
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